Wo Geschichte spürbar wird...
Der Bogen, der mein literarisches Repertoire umspannt, ist weiträumig und bietet mir viel Raum für Abwechslung und spannende Themenbereiche. Mein autobiografisches Wirken kennst du inzwischen ja sehr gut und auch mein Werdegang in der hospizlichen Begleitung ist dir schon ein wenig vertraut. Nur über meine Projektarbeit im Vinschgau, die ja sehr umfangreich und zeitintensiv ist, weißt du eigentlich recht wenig. Höchste Zeit, dieser Geschichte einen eigenen Beitrag zu widmen und dir einen kleinen Einblick hinter die Kulissen zu schenken. Das Schreiben ist hierbei eine Sache, aber wenn es um ein historisches Werk geht, wozu unsere Alpenvereins-Chronik eindeutig gezählt werden darf, sind persönliche Eindrücke unentbehrlich, finde ich.
Nicht zuletzt deshalb bin ich des Öfteren mit Manni, einem meiner wunderbaren Projekt-Kollegen, auf Tour. Jeder von uns deckt seinen Bereich ab, wie das in einem Team eben der Fall ist. Und Manni ist unser Kriegshistoriker. Die Bezeichnung klingt nicht unbedingt spannend, ich weiß. Aber wer einmal mit Manni unterwegs war und an seinem unerschöpflichen Wissen teilhaben konnte, ist fasziniert. Mit ihm zusammen zu arbeiten macht nicht nur Spaß, nein, es ist eine unglaubliche Bereicherung. Durch ihn habe ich so viele Zusammenhänge begriffen, was meiner Arbeit enorm zuträglich ist.
Eine unserer gemeinsamen Touren verlief entlang der ehemals bitter umkämpften Kriegsfront in der Umgebung des Stilfser Jochs. Was damals noch ein Grenzgebiet von tiefer Bedeutung darstellte, wird heute eigentlich nur mehr als Sprachgrenze wahrgenommen, als Übergang in die Lombardei oder die nahegelegene Schweiz. Zahlreiche Wahrzeichen und Überreste ehemaliger Schützengräben, Mannschaftsbaracken und Geschützstellungen säumen unseren Pfad. Ein verrotteter Stacheldraht, im Angesicht des Ortlers mit seinem immer erschreckender schrumpfenden Gletscher, schimmert in der Sonne. Erinnerungen an blutige, entbehrungsreiche Zeiten, wo die Hoffnung auf Frieden ein Wunschdenken war.
“Und wie ist es heute…?”, geht mir durch den Kopf, während ich Manni’s lebendigen Erzählungen lausche. Mir bleibt nicht viel Zeit für melancholische Gedanken, und das ist gut so. Hier gibt es so vieles zu sehen und zu verinnerlichen, was meiner Aufmerksamkeit bedarf. Am späten Nachmittag, nachdem wir eine letzte, gut verborgene aber sehr beeindruckende Verteidigungsanlage besichtigt haben, lassen wir die Eindrücke des Tages auf der Terrasse einer nahegelegen, kleinen Schutzhütte Revue passieren. Ich schätze mich dankbar, nicht nur für diesen besonderen Tag, sondern auch dafür, dass ich mit so tollen Menschen zusammenarbeiten und ein Stück Geschichte lebendig halten darf, das wir den kommenden Generationen zurücklassen können.