Fortsetzung "Liebesgeschichte"
Beim Lesen eines Buches wünschen sich die meisten, wenn auch unbewusst, dass eine kleine, versteckte Liebesgeschichte darin verpackt ist. Die Nüchternheit des Alltags fordert oftmals eine Brise Romantik, und in der literarischen Welt ist alles erlaubt, der Grat zwischen Phantasie und Realität ist ebenso lang wie schmal.
Für mich ruht der entscheidende Unterschied darin, welches Genre von Geschichte ich erzähle. Entführe ich meine Leserschaft bewusst in eine heile Welt, oder halte ich an der Wahrheit fest? Meine Schilderungen basieren auf Tatsachen und Erlebtem, insofern fiel mir die Entscheidung leicht. Trotzdem sind die Akteure und Protagonisten Menschen, was zwangsläufig Gefühle und Emotionen birgt. Beim ersten Mal hat mich die Frage noch verblüfft. Inzwischen ertappe ich mich dabei, dass ich fast schon darauf warte. Auch weil es interessant ist, wie das Publikum den heiklen Punkt “Gefühlsleben” in einer derartigen Ausnahmesituation angeht. Da ich keine Berührungsängste habe und diese Art von Nähe zulassen kann, fällt es mir relativ leicht, damit umzugehen.
Die wohl direkteste Variante lautete: “Waren Sie damals vielleicht auch in Kai Uwe verliebt?” Sie wurde mir bei einer Lesung in einer großen Bibliothek in Baden Württemberg von der Organisatorin gestellt. Ich versicherte ihr, dies mit hundertprozentiger Sicherheit verneinen zu können. Warum? Weil nach meinem hochtraumatischen und einschneidenden Erleben gefühlsmäßig “Eiszeit” herrschte. Zu diesem Zeitpunkt entpuppten sich Unsicherheit, Angst und Misstrauen als die verlässlichsten Begleiter und offenbarten ein trauriges Spiegelbild meines Daseins. Jemandem Vertrauen zu schenken, war zu einer enormen Herausforderung geworden. Was natürlich an mein Umfeld und die Betroffenen extreme Anforderungen stellte. Und doch gab es jemanden, dem das fast Unmögliche gelang. Nur war mir das zum damaligen Zeitpunkt (leider) noch nicht bewusst.
Meine letzte Lesung vor der pandemiebedingten Zwangspause durfte ich in einem Zentrum mit medizinisch/therapeutischer Ausrichtung in Südtirol halten. Der Abend war für mich in zweifacher Hinsicht von großer Bedeutsamkeit. Ich berichtete dem Publikum von der wunderbaren und unerwarteten Begegnung nach so vielen Jahren mit genau dem Menschen, der mich damals, ohne es zu wissen, so tief berührt hatte. Noch nie zuvor fand die “Enttäuschung” über die erhoffte Liebesgeschichte, die keine ist, eine schönere Formulierung und ereilte mich auf direkterem Weg: “Schade, wir hätten uns über ein Happy End richtig gefreut! Das wäre die perfekte Love-Story, die ideale Rosamunde Pilcher Vorlage…”, gerieten einige total ins Schwärmen. Da für den Herbst bereits ein medizinisches Forum mit Kai Uwe und mir als Referenten angedacht war, versprach ich, während seines Aufenthaltes auch einen Besuch in ihrer Struktur einzuplanen. Mir ist nicht daran gelegen zu übertreiben, aber mit diesem Versprechen durfte ich mich an dem Abend von sehr vielen glücklichen Menschen verabschieden.
Inzwischen ist so unvorstellbar viel passiert. Deshalb wage ich mich nächsten Sonntag an ein Thema, zu dem ich mich niemals äußern wollte. Aber ich glaube, die Zeit ist reif dafür.