"Wissen Sie eigentlich, dass Sie eine Liebesgeschichte geschrieben haben?"
Diese Frage hat ihre Bedeutsamkeit für mich bis heute nicht verloren, das gebe ich unumwunden zu.
Es war ein wundervoller Abend und eine ganz besondere Veranstaltung: Meine erste Wein-Lesung. Die romantische Location, inmitten des Bio-Weingutes in Bozen, tat natürlich das Seine dazu, um der Veranstaltung auch das entsprechende Flair zu vermitteln. Outdoor-Veranstaltungen sind einfach etwas Besonderes.
Kaum hatte ich mein Buch zur Seite gelegt, um dem Publikum das Wort zu geben, meldete sich der Herr aus der ersten Reihe ganz rechts zu Wort: “Wissen Sie eigentlich, dass Sie eine Liebesgeschichte geschrieben haben?”, sprudelte es unvermittelt und ohne Umschweife aus ihm heraus. “Hmm…, da war die Weinverkostung in den Lesepausen doch etwas zu lang…”, war mein erster Gedanke, wobei ich mir ein Lachen nicht verkneifen konnte. “Nein, das wusste ich bisher nicht. Ich glaube, Sie sind aber auch der erste, der das so empfindet”, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Mir war schon bewusst, dass seine Frage nicht auf die Weinverkostung zurück zu führen war. Der Mann hatte meinen Lesepassagen mit großer Aufmerksamkeit zugehört und sie verinnerlicht, deshalb verstand ich sehr wohl, worauf seine Frage basierte. Viele können beim Lesen oder Erzählen ihr Empfinden dahingehend ausblenden, dass beim Publikum nicht wirklich etwas davon ankommt. Mir gelingt das nicht, abgesehen davon liegt es auch jenseits meiner Absicht. Schließlich sind es ja gerade Gefühle, die uns einzigartig machen. Der Kern seiner Frage zielte auf den Menschen, der mich durch sein empathisches Wesen aufgefangen und durch die extrem schwierige Zeit im Krankenhaus begleitet hatte. “Nein, es ist ganz sicher keine Liebesgeschichte, auch wenn es an manchen Stellen vereinzelt so klingen mag.” Gefahrlaufend, dass ich die Frage des sympathischen Romantikers damit ein wenig unromantisch beantwortet und ihn damit eventuell auch etwas unsensibel auf den Boden der literarischen Realität zurück geholt hatte, war mir daran gelegen, kein falsches Bild zu vermitteln. Meine Geschichte ist, und das betone ich immer wieder, eine sehr positive, aber sicher keine Liebesgeschichte.
Im anschließenden Gespräch mit ihm gelang es mir dann recht gut, ihm die Situation aus meiner Sicht zu vermitteln. Gefühle sind frei - deshalb ist es das Recht eines jeden, etwas so aufzunehmen und zu interpretieren, wie er es empfindet oder wahrnimmt. Mit diesen beglückenden Gedanken bin ich am Ende dieses wunderbaren Abends schlafen gegangen.
Trotzdem möchte ich an dieser Stelle einräumen, dass mir diese Frage, zum Teil anders ausgedrückt, aber keinesfalls weniger deutlich, inzwischen schon mehrfach gestellt wurde. Ich beantworte sie immer ehrlich und, je nach Formulierung oder Direktheit, zur Zufriedenheit, das hoffe ich zumindest. Mir ist bewusst, wo der Ursprung dieser Frage liegt. Da dieses Thema etwas komplexer ist, möchte ich hierzu keine Fragen unbeantwortet stehen lassen. Deshalb gehe ich nächste Woche in die Fortsetzung, um die Gedanken meines Publikums noch ein wenig vertiefen zu können.
Falls dich das Thema an eine Lesung erinnert, an der du dabei warst, oder du dich in dieser Frage wiederfindest, lass es mich wissen. Ich fände es toll.