Schreckgespenst Tracheotomie!
Ich freue mich, dir heute wieder etwas aus der unbekannten Welt des Koma-Patienten erzählen zu dürfen.
Vergangene Woche habe ich mich an die Phase meines Zurückkommens erinnert, ein Thema, das noch immer sehr gegensätzliche Gefühle in mir frei setzt. Dieser langen Phase ging die Tracheotomie voraus, der klassische Luftröhrenschnitt. Ich übertreibe ganz sicher nicht, wenn ich behaupte, dass dieser Eingriff für den Betroffenen ein derart einschneidendes Erlebnis darstellt, das von vielen - Ärzten wie Laien - leider unterschätzt wird. Auch wenn es vom Patienten nicht bewusst wahrgenommen oder miterlebt wird, verursacht es ein Trauma im Unterbewusstsein. Dieser Schnitt geht viel tiefer, als man denkt!
Ein gesunder Mensch macht sich wenig Gedanken darüber, ob und wie er atmet. Es ist ein natürlicher Vorgang, den man nicht hinterfragt. Ein Patient mit Trachealkanüle atmet aber nicht mehr selbst, das übernimmt in dieser Zeit eine Beatmungsmaschine. An dieser Stelle fokussiere ich weniger den technischen Teil dieser lebenserhaltenden Maßnahme, mir geht es eher um das verzerrte Wahrnehmungsbild, mit dem der Patient lernen muss, umzugehen. Da ist die Entwöhnungsphase vom Beatmungsgerät, die ich vergangene Woche bereits erwähnt habe. Sie ist eine enorme Herausforderung, ein erneuter Kampf gegen unbekannte Mächte. Unschöne Details, wie die des Schleim Absaugens, blende ich hier ganz bewusst aus. Damit tue ich es dem Speicherplatz im Gehirn gleich, er verschließt sich all dem, was nicht wirklich wichtig genug ist, dass wir uns daran erinnern. Umso lebendiger ist mir dafür die erste Begegnung mit meinem veränderten Spiegelbild und das Befremden gegenüber meiner veränderten Stimme erhalten geblieben.
Es vergeht sehr viel Zeit, bis sich der Schnitt in der Luftröhre komplett schließt. Beim Schlucken, Atmen und Sprechen öffnet er sich automatisch, was den Vorgang nicht nur extrem unangenehm macht, sondern zusätzlich verzögert. Das Gefühl, die Luft aus der geöffneten Schnittstelle bewusst austreten zu hören, das wahrzunehmen ist grauenvoll. Die Stimme, zu Beginn noch dünn und kaum hörbar, klingt unecht und fremd. Bei mir kam noch erschwerend hinzu, dass die Stimmbänder beim Eingriff verletzt wurden, das ist irreparabel und führt zu einer veränderten Stimmlage. Ich weiß, es klingt unglaubwürdig - aber ich habe meine eigene Stimme beim Sprechen nicht erkannt, so fremd und verändert klang sie. Die ganze Situation hat mich in ein tiefes Loch fallen lassen, aus dem ich mich nur mühsam befreien konnte. Zum Glück erhielt ich Hilfe und Unterstützung von einem sehr wertvollen Menschen, den ich dir in einem anderen Beitrag demnächst vorstellen möchte.
Wahrhaft ein Thema, dem noch viel hinzuzufügen wäre. Was ich im Buch ja auch getan habe, dort gebe ich sehr viel über die gefühlsmäßige Achterbahnfahrt, auf der ich mich in dieser Zeit befunden habe, preis.
Nun möchte ich dich aber sogleich auf meinen nächsten Beitrag hinweisen und dich dazu einladen. Nächsten Sonntag beantworte ich dir eine Frage, die mir seitens meines Publikums sehr oft gestellt wird:
“Verliert man als ehemaliger Koma-Patient die Angst vor dem Sterben?”
Was meinst du?
Haben dir die Informationen zum heutigen Thema gefallen? Oder habe ich vielleicht etwas vergessen, was dir wichtig ist und dich noch interessiert? Dann schreib mir, ich freue mich darauf.